Geschichte

Mitte der 30er Jahre


2008 zum 75-jährigem Jubiläum




Planung, Finanzierung und Vergabe der Siedlungshäuser

In den Jahren 1930 bis 1932 griff die Stadtverwaltung Witten, unter dem damaligen Bürgermeister Otto Laue, das Programm der Stadtrandsiedlung auf. Die hohe Arbeitslosigkeit und der Wunsch   einigen ausgesuchten Bürgern eine seßhafte Heimat zu geben waren der Anlaß. Vielleicht spielte schon damals der Gedanke der Vermögensbildung eine Rolle.

Auf stadteigenen Grundstücken wurden zwei Projekte geplant:
Projekt 1 in den Jahren 1930-32 mit den Siedlungen in Bommern, Wullen und Rüdinghausen.
Projekt 2 in den Jahren 1932-33 mit den Siedlungen in Bommerholz, Heven, Ardey und Annen.    

Für die 20 Doppelhäuser unsere Siedlung in Annen wurde der erste Spatenstich in den ersten Märztagen 1932 vollzogen. Die ausgesuchten Bürger waren 12 Maurer, 6 Zimmerer und Schreiner, die anderen waren bauhandwerklich fremde Bürger, von denen 6 Familien kinderreich sein mussten.

Das Wichtigste war zuerst die Finanzierung. Eigenkapital war nicht vorhanden. Das Grundstück, das von der Stadt als Kleingärten verpachtet war, wurde den Siedlern in Erbpacht zur Verfügung gestellt. Zum Ankauf von Materialien und zur Erstellung von Gewerken, die von den Siedlern selbst erstellt werden konnten, wurde von der Bau- und Bodenbank eine Hypothek von 2.500 Reichsmark je Siedlerstelle bereitgestellt. Dachdecker-, Sanitär- und Elektroarbeiten wurden in Eigenregie ausgeführt. Mit einem relativ geringen Betrag von 5.000 Reichsmark je Siedlerstelle musste unter allen Umständen ausgekommen werden. Man rechnete damals mit 50% Material und 50% Arbeitslohn.


Die Bauphase

Die auserwählten Siedler spuckten in die Hände. Gearbeitet wurde von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Man wollte unbedingt vor Winteranfang sein Haus beziehen. Es wurde hart gearbeitet...hart gearbeitet bei geringer, einfacher Kost. Das Einkommen der Siedler nur aus dem Arbeitslosengeld, das jeder Arbeitsloser bekam.
Maschinen waren nicht vorhanden, mit Spaten und Schubkarre wurde der schwere Lehmboden der Baugruben ausgehoben und zu hohen Haufen aufgekarrt. Das Kellermauerwerk wurde aus Sandstein in einer Stärke von 50cm gemauert. Die Ecken und Stürze wurden von Hand geschlagen. Die Keller-decken in Schlackenbeton zwischen T-Trägern hergestellt. Der Innenausbau war an den heutigen Ansprüchen gemessen eher bescheiden. Das Haus erhielt einschliesslich Keller und Stall sechs Brennstellen sowie zwei Stechkontakte. Eine Wasserzapfstelle befand sich nur im Keller. Die "Toilette" bestand aus einem Trockenklosett, ein sogenanntes "Plumpsklo". Der Siedler sollte sein eigener Düngererzeuger sein. Das Dach wurde nur an der Hinterfront mit einer Dachrinne ausgestattet.
Im August-September 1933 war es dann soweit, die Häuser konnten nach und nach bezogen werden. Straßen waren noch nicht vorhanden. Das gesamte Gelände glich einer Mondlandschaft.Die Schmalspurbahn mit ihren Teckeln, die von der Freiligrathstraße zum Materialtransport gedient hatte, wurde nun auch zum Transport von Möbeln genutzt. Bei Regenwetter war das Gelände knöcheltief verschlammt, aber es musste weitergehen und es ging weiter.
Einige Siedler wurden zum Steineschlagen in den Steinbruch Imberg kommandiert. Andere fuhren von der ehemaligen Glasfabrik Utermann Schlacke heran, oder brachten von dem Gelände der früheren Fabrik "Krupp", südlich der Bahnlinie (jetziges Gelände der Firma Real und technisches Rathaus), Pflastersteine und Platten mit Handkarren zur Baustelle. Die Straßen waren zuerst nur Aschenwege, die später nach der Verlegung der Wasser- und Gasleitungen asphaltiert wurden.


Grundriss der ursprünglichen Häuser



Der Garten

Jeder Siedler hatte laut Erbbau-Vertrag eine Grundstücksgröße zwischen 650 und 1000 Quadratmetern. Zur ersten Anpflanzung bekam jede Familie zwei Apfelbäume, einen Birnbaum, einen Pflaumenbaum und einen Kirschbaum. Zur Abgrenzung an der Straße erhielt jeder Siedler Stachelbeersträucher, je nach Straßenfrontlänge. Die Rasenfläche in der Straße wurde rundherum mit Linden bepflanzt, übrigens wie auch die Obstbäume von der Gärtnerei Otto Brand geliefert.


Die ersten Jahre

Ein großer Denkfehler wurde in der Zeit der Planung gemacht. Die ganze Siedlung war ohne Kanalisation gebaut worden, und das in einem Gelände von schwerem Lehmboden durchzogen von Tonadern. Der aus einer Ziegelflachschicht erstellte Kellerfußboden nahm sofort Feuchtigkeit auf und im Herbst, wenn der Grundwasserspiegel stieg, stand der Keller bis zu 70cm unter Wasser. Zwar hatten einzelne Siedler zum Auffangen des Schmutzwassers eine Sickergrube von bis zu 3m Tiefe geschaffen, aber was war diese wert, wenn der Grundwasserspiegel bis zu 60cm unter der Erdoberfläche anstieg. Im Jahr 1938 bekam die Straße einen Kanal und jedes Haus wurde daran angeschlossen. Einige Siedler bauten noch eine zusätzliche Drainage um das Haus und hatten endlich trockene Keller.
Die Wasserversorgung war in den ersten Jahren ein Problem. Da nur eine Blei-Ringleitung vorhanden war, bekamen lediglich 3 von 40 Häusern eine Wasseruhr. Die drei Siedlerstellen mit den installierten Wasseruhren mußten nach der Verbrauchsablesung durch die Stadtwerke und entsprechender Rechnungsstellung das Wassergeld von den restlichen 37 Siedlern einholen und an die Stadtwerke bezahlen. Da die erwähnte Ringleitung und insbesondere die Hausanschlüsse durch oftmalige Rohrbrüche die Wasserversorgung schwierig machten, erhielt die Straße nach einigen Jahren eine neue Hauptleitung und jedes Haus wurde mit eigener Wasseruhr daran angeschlossen.
Im Jahr 1943 wurde dann von der Stadt das in Erbpacht überlassene Grundstück den Siedlern zum Kauf angeboten. Sehr viele Siedler nahmen dieses Angebot gerne an, war der Kaufpreis doch relativ gering. Im Erbpachtvertrag war ein Preis von 1,20 RM pro Quadratmeter festgeschrieben.


Warum heißt die Otto-Laue Straße "Stachelbeersiedlung"?
 
Wie bereits erwähnt bekam jeder Siedler eine gewisse Anzahl von Stachelbeersträuchern für die Abgrenzung des eigenen Grundstücks zur Straße. Während der Kriegsjahre und insbesondere in den ersten Nachkriegsjahren zogen die leckeren Früchte viele begehrende Blicke auf sich. Es sprach sich in Annen sehr schnell herum, daß dort die knappen Früchte direkt an der Straße reiften. Wollte man dies jemanden erklären, so sprach man von der Siedlung mit den vielen Stachelbeeren. Den Straßennamen von vor 1945 (Franz-Seldte-Straße) wollte man nicht mehr aussprechen und der neue Name (Otto-Laue Straße) war noch nicht so geläufig. Also verständigte man sich von da an mit dem Begriff "Stachelbeersiedlung"...und dieser Name hat sich bis in die heutige Zeit gehalten.